Am 29.11.2015 wurde in Frankfurt die Lärmwirkungsstudie NORAH („Noise-Related Annoyance, Cognition, and Health“, deutsch etwa „Zusammenhänge zwischen Lärm, Belästigung, Denkprozessen und Gesundheit“ der Öffentlichkeit vorgestellt. Die kurz zusammengefaßten Ergebisse wurden in der Schlagzeile „Lärm macht weniger Krank als gedacht“ in der Pressse weiter publiziert. Dies hat natürlich zu Reaktionen geführt – eine Stellungnahme der „Bürgerinitiative im Mittelrheintal gegen Umweltschäden durch die Bahn e.V.“ erreichte die Redaktion.

Was ist die NORAH-Studie
Vor dem Hintergrund der Flughafen-Erweiterungsplanungen in Frankfurt/Main, München und Berlin und den Auseinandersetzungen im die Frankfurter Flughafenerweiterung wurde die „Umwelt- und Nachbarschaftshaus GmbH in Kelsterbach, eine Tochtergesellschaft des Landes Hessen, mit der Studie beauftragt. Die Kosten von knapp zehn Millionen Euro tragen das Land Hessen, Kommunen, der Frankfurter Flughafenbetreiber Fraport und die Luftverkehrsgesellschaften.
Hintergrund war die Erkenntnis, dass es zu Lärmwirkungsfragen jeweils eine Vielzahl einzelner, existierender Studien gibt:
– Querschnittsstudien
– Studien an Bestandsflughäfen
– Studien mit Konzentration auf eine Lärmquelle
– Studien mit einzelnen Wirkungsbereichen.
Um künftig rechtssichere Genehmigungsverfahren durchführen zu können, wurde eine umfangreiche Modellstudie aufgelegt, um den Wissensstand methodisch auf eine tragfähige Basis zu stellen. Mit der Studien wurden über 20 Akustiker, Epidemiologen, Umweltmediziner, Schlafmediziner, Sozialwissenschaftler, Psychologen und Statistiker von 10 Universitäten und Institutionen beauftragt.
Drei Ebenen wurden besonders auf Basis eines Modells der Lärmwirkungen untersucht: Belästigung und Lebensqualität, Gesundheit und Entwicklung von Kindern.

Vor der Studie wurden wichtige zusammenfassende und neue Erkenntnisse erhofft. So sollten z.B. in Panel-Studien Lärmänderungswirkungen und Lärmwirkungen verschiedener Verkehrsträger (Flug, Straße, Schiene) erfasst werden.
Die Studie ist in Teilstudien gesplittet: zur Lebensqualität, zum Schlafverlauf, zur Häufigkeit von Krankheiten im Rhein-Main-Gebiet, zur Veränderung des Blutdrucks in Lärm-Gebieten und zur kindlichen Entwicklung.
Eine wichtige Rolle spielten auch Zusammenhänge zwischen Lärmpegel, Streß und Erkrankung. Um die Frage von Nachtflugverboten besonders beurteilen zu können, wurde auch die Schlafqualität in den Blick genommen.
Besonderes Augenmerk wurde auch auf den Einfluss auf Kinder gelegt, weil vermutet wird, dass Lärmwirkungen auch zu Entwicklungsstörungen und kognitiven Störungen (Sprach- und Lautwahrnehmung, Leseschwäche) und Folgen von Schlafstörungen führen.
Die Konzeption der Norah-Studie wurde auf der 50. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Luft- und Raumfahrtmedizin e.V. (DGLRM) am 27.-29.9.2012 vorgestellt.

Ergebnisse der Lärmwirkungsstudie
Die bisherigen Studienergebnisse umfassen rund 2.500 Seiten. Der am 29.10.2015 vorgestellte Endbericht wird von Prof. Dr. Jürgen Hellbrück in der Gesamtschau gewürdigt.
„Der von den für die Koordination des Forschungsverbundes verantwortlichen Autoren Guski und Schreckenberg verfasste Gesamtbericht stellt eine konzise Zusammenfassung der umfangreichsten und komplexesten Studie zur Wirkung von Verkehrsgeräuschen auf die Lebensqualität und Gesundheit der Bevölkerung dar, die bisher im deutschsprachigen Bereich – und wahrscheinlich auch weltweit – durchgeführt wurde.“
Die gedruckte Fassung der Norah-Studie wird voraussichtlich Mitte November 2015 veröffentlicht. Auf der Internetseite des Forschungsverbundprojektes sind die einzelen Teilberichte schon öffentlich nachlesbar (NORAH-Studie Publikationen).
„Die in der NORAH-Studie erlangten Ergebnisse werden unter dem Titel „Zentrale Ergebnisse“ modulweise vorgestellt. Neben Aussagen zu den Expositions-Wirkungsbeziehungen werden die Wertebereiche der akustischen Größen (Mittelungspegel) aufgeführt. Besondere Erwähnung soll auch die Berücksichtigung der Maximalpegel der Straßen- und Schienenverkehrsgeräusche im Rahmen der sogenannten „Emergenzanalyse“ finden. Sowohl die Historisierung von Pegeln („kumulative Lärmjahre“) als auch die Berücksichtigung der Maximalpegel von Schienen- und Straßenverkehrsgeräuschen sind für derartige Untersuchungen bisher einmalig.“
Die Untersuchungen dazu wurden vornehmlich im Rhein-Main-Gebiet sowie teilweise auch in den Regionen um die Flughäfen Berlin-Brandenburg, Köln/Bonn und Stuttgart durchgeführt.
Streit um Ergebnisse der Studie wird sich auf Detailebene verlagern
Die Ergebnisse der NORAH-Studie sind zum Teil überraschend: Fluglärm nach Ansicht der Forscher das Risiko, an einer Depression zu erkranken. Klar ist, dass Schlafstörungen direkt durch Lärm beeinflusst sind. Die Argumentation für Nachtflugverboten wird gestärkt.
Bei der Frage, ob Lärm Einfluß auf den Blutdruck hat, gibt es deutliche Widersprüche zu bisherigen Forschungsergebnissen. Die NORAH-Ergebnisse verneinen den Einfluß von Dauerlärm. Auf den Blutdruck habe Dauerlärm aber gar keinen Effekt.
Bisher gilt jedoch die gesicherte Erkenntnis, dass Fluglärm Bluthochdruck, Herzinfarkte und auch Schlaganfälle auslösen kann.
Lärm aktiviere das Stresshormon Adrenalin und beeinträchtige die Gefäßfunktion. Laut Umweltbundesamt wirkt Lärm auf den gesamten Organismus. Er verursache körperliche Stressreaktionen, aktiviere das autonome Nervensystem und das hormonelle System. Mögliche Langzeitfolge seien Herz-Kreislauferkrankungen, Bluthochdruck oder Herzinfarkte.
Teilergebnis für Betroffene von Schienenlärm: Menschen, die an einer vielbefahrenen Bahnstrecke wohnen riskieren eher Herz-Kreislauferkrankungen. riskieren eher.
Stellungnahme der Bürgerinitiative im Mittelrheintal gegen Umweltschäden durch die Bahn e.V.
Nachdem lesen der Zusammenfassung der Studie sind zahlreiche Kritikpunkte zu finden. Die Studie ist erstellt worden, die Probleme des Fluglärms zu bagatellisieren. Daher führte die Pressearbeit der Flughafenlobby auch – wenig überraschend – zu der Entwarnungsmeldung in zahlreichen unkritischen Medien.
Trotz der Kritik sind aber wichtige Ergebnisse erzielt worden. Willi Pusch: „Auch Depressionen sind eine Krankheit, die der Gesetzgeber verhindern muss, nicht nur Herzinfarkte.“
Pusch warnt vor der Praxis, nun im Ergebnis der NORAH-Studie unterschiedliche Lärmarten gegeneinander auszuspielen und Pusch kritisiert die Pressearbeit:
„Wenn man als Flughafenlobby aber den Fluglärm verharmlosen will, dann muss man den Straßen- und Schienenlärm – im Vergleich dazu – als gefährlicher darstellen. Dieses gelang der Flughafenlobby bereits vor einiger Zeit durch eine PM, in der eine UBA-Meldung wiedergegeben wurde, wonach in der Nacht mehr Menschen durch Bahnlärm als durch Fluglärm betroffen sind. Die jetzige „PM-Maschinerie“ läuft in die gleiche Richtung. Ernsthaftere Medien, z.B. haben nicht einfach die PMs der Flughafenlobby abgedruckt, sondern sich genauer informiert und kommen daher auch zu einer anderen Berichterstattung.“

Schlussfolgerung für die Bahnlärmbetroffenen
Pusch zieht eine klare Linie: „Ich ziehe daraus die Schlussfolgerung, dass es ein fundamentaler strategischer Fehler wäre und ist, wenn die Bahnlärmbetroffenen ihre Interessen einem „Gesamtlärmbündnis“ gegen alle Arten von Lärm unterordnen würden und nicht die besondere Schädlichkeit des Bahnlärms herausarbeiten und öffentlich vertreten würden.“
„Bei Straßenverkehrsgeräuschen zeigten sich die höchsten statistisch signifikanten Risiko-Anstiege pro 10 dB Pegelzunahme bei depressiven Episoden (4,1%), Herzinfarkt (2,8%),Herzinsuffizienz (2,4%) und Schlaganfall (1,7%). Bei Schienenverkehrsgeräuschen betrugen die entsprechenden höchsten statistisch signifikanten Risiko-Anstiege für depressive Episoden 3,9%, Herzinsuffizienz 3,1% und Schlaganfall 1,8%. Bei Luftverkehrsgeräuschen waren die entsprechenden höchsten statistisch signifikanten Risiko-Anstiege bei depressiven Episoden (8,9%) und Herzinsuffizienz (1,6%) zu finden.“
Pusch: „Das heißt im Klartext, dass Schienenlärm in Bezug auf Herzinsuffizienz und Schlaganfall gefährlicher ist als Straßenlärm und in Bezug auf Herzinsuffizienz sogar gefährlicher als Fluglärm. Ein besseres Ergebnis können wir doch gar nicht erwarten!“
Pusch verweist noch auf ein wichtiges Detail:
„Personen mit einem vergleichsweise geringen Luftverkehrs-Dauerschallpegel von <40 dB, bei denen vor Einführung der Kernruhezeit am Flughafen Frankfurt nächtliche Maximalpegel von > 50 dB auftraten, wiesen in zahlreichen Analysen – beim Schlaganfall und bei der Herzinsuffizienz statistisch signifikant – erhöhte Risikoschätungen auf. Solche Ergebnisse weisen
darauf hin, dass die Berücksichtigung der nächtlichen Maximalpegel für die Abschätzung der Erkrankungsrisiken bei Luftverkehrsgeräuschen bevölkerungsbezogen relevant erscheint, aber einer weiteren Absicherung bedarf.“
Pusch fordert daher: „Das heißt im Klartext, dass sich der Lärmschutz nicht am Mittelungspegel, sondern an den Maximalpegeln bemessen muss“.
Weitere Informationen:
Bürgerinitiative im Mittelrheintal gegen Umweltschäden durch die Bahn e.V.
www.bahnlaerm-mittelrhein.de
Bundesvereinigung gegen Schienenlärm e.V. – www.schienenlaerm.de